Selbsterkenntnis macht mich wahnsinnig
Man sagt, Selbsterkenntnis sei der erste Schritt zur Besserung, aber darüber, wie schmerzvoll dieser Prozess ist, spricht niemand.
Ich habe sehr lange gebraucht, um zu merken, dass ich mich selbst zu wichtig nehme und zu viel Platz einnehme. Leider hat mich diese Erkenntnis aber nicht auf einen Pfad gesunder Zurückhaltung gelenkt, sondern mein Selbstbewusstsein komplett zerstört.
Ich kann mir meine früheren Fehltritte nicht verzeihen und ich komme nicht mit der Erkenntnis klar, dass ich nicht so beliebt bin, wie ich dachte. Ich habe inzwischen realisiert, wenn ich mich nicht von mir aus melde oder von alleine an Gesprächen teilnehme, dann kommt von den anderen auch nichts.
Ich habe das mal getestet: bei einem Videochat mit Freunden habe ich einfach mal aufgehört, mich am Gespräch zu beteiligen. Ich habe nur zugehört, aber nichts mehr gesagt. Ich habe über eine halbe Stunde lang kein Wort gesagt und es ist niemandem aufgefallen. Für mich die Erkenntnis, dass mein Input nicht benötigt wird und es außer mir selbst keinen interessiert, was ich zu sagen habe.
D.h. ich habe jahrelang alle mit meinen Kommentaren und Meinungen genervt und mich selbst wichtig genommen, obwohl es niemanden interessiert hat und wohl alle nur zu höflich waren, etwas zu sagen.
Seitdem mir das klar geworden ist, reagiere ich schon fast übersensibel auf Abweisung oder Kritik.
So musste ich heute per WA etwas mit jemandem klären. Ich gebe mir immer Mühe, informativ, aber freundlich zu schreiben. Bekam aber nur sehr knappe Antworten zurück.
Beispiel:
Ich: "Wegen XY würde ich dir gerne folgenden Termin vorschlagen: (Termin). Würde das bei dir passen?"
A: "Nein"
Ich: "Okay. Wir finden sicher eine zeitnahe Alternative. Kannst du schon sagen, wann es dir nächste Woche passen würde?"
A: "Freitag"
Ich: "Gut, ich kläre, ob Freitag geht und melde mich dann schnellstmöglich bei dir zurück. Okay?"
A: "Ok"
Ist meine Einschätzung realistisch oder ist es übersensibel, anzunehmen, dass die Person mich nicht mag und ich etwas falsch gemacht haben muss?
Ich traue mich nicht, in solchen Situationen nachzufragen, weil ich die Konfrontation aktuell nicht durchstehen würde.
Mir geht es sehr an die Nerven, die ständige Angst vor Zurückweisung und negativen Reaktionen.
Ich habe es jahrelang nicht gemerkt, dass Menschen genervt von mir sind und mich nicht sonderlich mögen. Und jetzt weiß ich nicht, wie ich damit umgehen soll.
Ich stehe unter Dauerspannung, weil ich versuche, es allen recht zu machen und niemanden gegen mich aufzubringen. Und dann wirft mich soetwas völlig aus der Bahn.
Jahrelang habe ich in naiver Ignoranz gelebt und gedacht, ich sei ein netter Mensch ohne große Fehler, der grundsätzlich gern gemacht wird. Damit bin ich jetzt so richtig auf die Fresse geflogen und ich kann nicht damit umgehen, weil ich es nie gelernt habe.
Ich möchte mich weniger wichtig nehmen, dennoch drehen sich meine Gedanken weiterhin nur um mich selbst. Wie ich mich jetzt dabei fühle, was ich realisiert habe, wie ich jetzt damit klarkommen muss. Im Grunde habe ich mich also nicht geändert. Ich bin extrem ich-bezogen und werde das nicht los und so langsam denke ich, ich verliere ein Verstand, weil ich diese Ablehnung früher nicht erlebt habe, was bedeuten muss, dass sich plötzlich etwas geändert haben muss, oder - und das ist wahrscheinlicher - ich mich jahrelang selbst verarscht habe und arrogant durchs Leben gelaufen bin, mit der Vorstellung, dass mich alle mögen, und vor lauter Selbstbezogenheit nicht gemerkt habe, dass ich nur auf Höflichkeit akzeptiert werde. Ich komme mit dieser Erkenntnis einfach nicht zurecht und weiß nicht, wie ich jetzt machen soll. Ich traue meiner Wahrnehmung nicht mehr und das macht mich total fertig.